A Slow March into a New Order oder das Falsche im Richtigen

Es war das Jahr 1997 und der Regen prasselte nur so runter, als die Black Watch von der Szene abtrat. Bei dem grossen Festakt zur Übergabe von Hong Kong lauschte die ganze politischen Prominenz eines serbelnden Imperiums Auld Lang Syne, eine der grossen britischen Hymnen und zahlreich gespielt zu Silvester. Inklusive dem epischen Satz des Kommentators: “A slow march into a new order.” Der Regen strömt und aus vollen Kehlen wird das Imperium weggesungen. Während die eine oder andere Britin, der eine oder andere Brite mit Wehmut diesen Tag erlebt haben mag, weltweit wurde diese Übergabe wohlwollend, vielleicht sogar mit etwas Gleichmut hingenommen. War dies doch ein längst überfälliger Schritt. Das britische Kolonialreich nach dem Sieg der Demokratie im Kalten Krieg nun wirklich ein alter Zopf, die Unzufriedenheit in Hong Kong war nicht selten gross bis hin zu einem Aufruhr in den 1960er Jahren.

Wer sich jedoch fast 25 Jahre später das Video (ganz runter scrollen) anschauen wird, könnte doch etwas gemischte Gefühle entwickeln. Hong Kong steht heute für die Unterdrückung durch ein zunehmend autoritärer regierendes Regime in Peking. Das Prinzip Ein Land, zwei Systeme scheint schon nach der Hälfte der Laufzeit des chinesisch-britischen Übereinkommen zunehmend zu erodieren. Das Beispiel zeigt, dass eine richtige politische Handlung nicht unbedingt den gewünschten Ausgang nehmen muss. Im Falle Hong Kongs hat sich auch bei der Bevölkerung eine Ernüchterung eingestellt, auch wenn wenig überraschend kein Drang zurück zum Empire besteht (abgesehen von den erleichterten Fluchtbedingungen, welche schon zehntausende Menschen aus Hong Kong in Richtung Britannien brachten).

Achtung: jetzt wird’s etwas theoretisch

Auch der umgekehrte Fall ist selbstverständlich möglich und spätestens seit Goethes Faust ikonisch, als der Teufel sich bezeichnet als «ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.» Freilich ist hier nicht von richtig und falsch und oder von gut und böse zu sprechen, ist die Politik doch in Sachen Inhalt und Form (sprich: Macht) über Ja/Nein codiert. Insofern kann ein Ja oder ein Nein am Ende immer als gut und als falsch gewertet werden – je nachdem, wer die Wertung vornimmt. Oder sie kann sich als richtig oder falsch erweisen, je nach Methode oder Zeitpunkt der angewendeten Messung. Fehler haben aber die schlechte Eigenschaft erst im Nachhinein beweisbar zu werden.

Die letzten fast zwei Jahre Pandemie haben einmal mehr gezeigt, dass Politik nicht in den gleichen Kategorien funktioniert wie Moral, Ethik oder Wissenschaft. Politisches Handeln (gemeint damit ist die demokratische Gesamtgesellschaft) an und für sich ist nicht richtig und falsch, nicht gut oder böse. Politik kann nur Themen durch Macht verhandeln und hier schien es gerade im letzten Jahr eine Zunahme an Problemen zu geben. Die politische Öffentlichkeit mag vielleicht nicht in zwei grosse Teile gespalten zu sein, wie dies gewisse Kreise behaupten. Es sind aber Erosionserscheinungen zu bemerken, weil viele in dieser Krisenzeit zwar nachvollziehbare, aber nicht erfüllbare Erwartungen an die Politik stellen. In der Schweiz wird dies potenziert dadurch, dass die in der Pandemie entscheidende Exekutive (Bundesrat) nicht über die Macht eine Mehrheit und Minderheit ausdifferenziert ist, sondern ein grosser Teil aller Kräfte vertreten ist. Macht mangels Opposition also mehr Aushandlung braucht, damit in einer Krise ineffizienter bis ineffektiver werden kann.

Warum das 2022 wichtig ist

Aber wes heisst das nun? Politik kann enttäuschen, kann falsch liegen, egal ob demokratisch legitimiert oder autoritär regiert. Als demokratische Gesellschaft ist dies schwerer zu ertragen, weil mehr sagbar ist, das Falsche offener zu Tage treten darf, ja sogar öffentlich bzw. medial noch viel mehr zur Geltung kommt und kommen muss. Dies muss aber nicht ein Problem für die Gesellschaft sein. Dies zu ertragen braucht die Gewissheit und die Gelassenheit, dass Fehler geschehen. Die Gewissheit gibt es, wenn es eine Form der Kontrolle (Check and Balances, Medien) gibt. Gelassenheit stellt sich ein, wenn klar ist, dass Fehler auch sanktioniert werden (auch wenn das oft einen langen Atem und Geduld braucht).

Wer also in der Corona-Pandemie die Fehler der Handelnden offenlegen will, sollte dies unbedingt machen. Dieser sollte sich aber im Klaren sein, dass auch seine eigenen Handlungsempfehlungen (z.B. keine Massnahmen mehr, keine Impfung, etc.) sich als falsch erweisen können. Die aktuelle Aufladung der Debatten durch die (absurderweise so genannten) Corona-GegnerInnen ist gefährlich, weil sie die ausgehandelten Massnahmen (ob sie sich als richtig oder falsch erweisen) schon im Vornherein ablehnen und damit ihre Haltung verabsolutieren. Dieses Absolute ist eine Ablehnung nicht nur der Demokratie, sondern führt über kurz oder lang auch zur Erosion der Wissenschaft und zum Primat der Moral. Es wird das als falsch Bezeichnete zum Bösen. Wer nicht mehr akzeptiert, dass andere Fehler machen können und dass andere aber die Mehrheiten hinter sich haben, der wird den Pfad der Demokratie verlassen. Dies ganz im Gegensatz zum Grossteil der Corona-Befürwortenden: Sie wissen oder akzeptieren, dass jede Massnahme sich auch als falsch erweisen kann. Es wurde also beispielsweise zweimal geimpft, in der Hoffnung, dass dies schon die Pandemie beendet. Falsch: Es brauchte nochmals eine Impfdosis. Vielleicht braucht es sogar nochmals eine vierte Impfung, wie sie Israel plant. Trotzdem ist die Impfung weiterhin der bisher einzige Ausweg aus der Pandemie, der finanziell, sozial, humanitär, ethisch…etc. (you name it) für eine demokratische Gesellschaft verkraftbar ist.

Es ist also im neuen Jahr allen zu wünschen, erstens die sich als falsch erwiesenen Handlungen der anderen mehr zu akzeptieren (weil eigentlich alle Fehler machen). Zweitens diese Fehler zu benennen und zu sanktionieren. Drittens zur Lösung der Fehler beizutragen.

Oder: Mehr Gelassenheit, weil shit happens. Mehr Gelassenheit, weil sich immer jemand finden wird, der sich auch daran stört. Mehr Gelassenheit, wenn es darum geht gemeinsam aufzuräumen. So wird’s was mit dem 2022.

ps. Es sind sicher super viele Fehler und fehlerhafte Gedanken in diesem Text. Er reklamiert denn auch nicht richtig zu sein, aber vielleicht einen Gedanken angestossen zu haben. Bitte sehr!

pps. Foto: klimkin, pixabay